Interview: Wie uns Yoga im Angesichts des Todes hilft

Memento Mori, «Vanitas» von Harmen Steenwijck aus dem Jahre 1640 mit seinen typischen Symbolen

Die Todeskultur anzukurbeln, sei etwas vom Vitalsten, das wir für uns tun können, um in unserem Leben ins Wesentliche zu kommen, sagt Germanist und Yogalehrer Johannes Glarner. Ein Gespräch über den Tod, und weshalb wir mit Yoga die Angst vor dem Sterben ablegen können.

Johannes, viele Menschen haben Angst vor dem Tod, warum?

Der Tod ist die grosse Unbekannte in unserem Leben. Wenn wir auf die abrahmistischen Religionen blicken – Christentum, Judentum und Islam – versprechen diese nicht viel Schönes nach dem Tode, es gibt wenig positive Bilder. Zudem müssen wir verstehen lernen, dass alles zyklisch ist, warum sollen Leben und Sterben linear sein?

Du spricht damit das dualistische Konzept von Himmel und Hölle an?

Vergiss das Fegefeuer nicht…(lacht). Sind wir doch ehrlich – der Himmel ist für niemand greifbar. Die Kirche wird kaum mehr besucht. Deshalb gibt es generell wenig Halt, was die Themen Tod und Sterben anbetrifft. Aber es kommt darauf an, wie man lebt, und welche Sichtweisen man auf das Leben und den Tod entwickelt.

«Yoga ist mit seinen Techniken überhaupt die wirkungsmächtigste Übung in den Tod.»

Bietet der achtpfadige Yogaweg denn freudvollere Perspektiven?

Im Yoga kennen wir das Modell von Samsara, das Rad der Wiedergeburt. Es ist die Vorstellung von einem immer währenden Zyklus des Seins, den Kreislauf von Werden und Vergehen oder den Kreislauf der Wiedergeburten. Hier sehen wir den Tod lediglich als eine Durchgangsstation. Zwar gibt es auch hier einen Moment des Purgatoriums, jedoch in etwas anderer Form als im Christentum, danach wird man wieder geboren, alles wird wieder frisch und neu. So werden Sterben und Tod weniger schrecklich.


Das Konzept Samsara ist tröstlicher. Aber sind wir damit verdammt, bis in alle Ewigkeiten im Reinkarnationsrad zu drehen?

Nein, die Yogaphilosophie zeigt eigen Ausweg, sogar in diesem Leben. Samadhi ist nicht bloss der Versenkungszustand, sondern Samadhi heisst auch das Grab der Yogini, des Yogis. Im tiefsten Samadhi, da wo gar keine Gedanken- und Gefühlsregungen mehr sind, wo nur noch reines undifferenziertes Bewusstsein aufleuchtet, gelangen wir zu Moksha, zur Freiheit von allen Bindungen, auch von der Bindung an das Rad der Wiedergeburt. Dann müssen wir nicht mehr kommen, wenn wir nicht wollen, um beispielsweise anderen im Leben und Sterben beizustehen.


Oft werden die Begriffe Karma und Dharma in diesem Zusammenhang verwechselt. Erläuterst du uns dies kurz?

Einfach ausgedrückt: Karma ist sozusagen, das mitgegebene Budget, je mehr positives du davon hast, desto freier kannst du dich auf dieser Erde bewegen, beispielsweise auch weg von deinen persönlichen Verletzungen, Bedrückungen und Hindernissen. Dharma hingegen ist unsere Lebensaufgabe, sie ist in zwei Teile unterteilt: Einerseits geht es darum, etwas zu lernen, tiefere Erkenntnis über das Leben oder Aspekte des Lebens zu gewinnen, das ist der Lernaspekt. Dann gibt es den Dienstaspekt von Dharma, welche Aufgaben haben wir hier zu erfüllen, gegenüber wem und was?


Selten spricht man mit Freund:innen und Familie über den Tod. Und wenn man es tut, breitet sich Unbehagen aus, weshalb?

Absurderweise gehen wir immer davon aus, dass alle andern sterben, man selbst aber nicht. Andererseits rennen wir in unserer Gesellschaft förmlich vor dem Tod weg. Dies zeigt sich in unserem Gesundheitswesen, im allgemeinen Körperkult – ja dieser herrscht auch im heutigen Yoga leider vor. Wir hängen krampfhaft an der Jugendlichkeit. Wir täten gut daran, wieder mehr Memento Mori zu betreiben. Sprich sich daran erinnern, dass man sterblich ist. Konkret heisst das auch, über Sterben und Tod zu sprechen, und sich täglich mit den letzten Dingen auseinandersetzen. Die Todeskultur anzukurbeln, ist etwas vom Vitalsten, das wir für uns tun können, um in unserem Leben zum Wesentlichen zu kommen.


Was heisst das konkret über den Tod sprechen?

Man kann sich beispielsweise bestimmte Fragen stellen: Wie will ich sterben? In der Natur, im Bett, im Spital, im Altersheim? Wer soll dabei sein? Soll es im Liegen oder im Sitzen passieren? Will ich bewusst sterben oder lieber schlafend oder schlummernd…? Man kann weiter lernen, einen Ort ohne Angst zu visualisieren und diesen etwas zu kultivieren, wir nennen diesen Ort Vaykunta, was auf die vishnuitische Tradition zurück geht.


Manchmal hat man keine Wahl, wo und wann man stirbt. Sollten wir mit unserem Liebsten bereits in der Blüte unseres Lebens darüber sprechen, wie die letzten Momente aussehen sollen und wie man bestattet werden möchte?

Unbedingt, ja. Je mehr wir darüber sprechen und die Dinge klären, desto mehr verlieren wir die Angst davor. Nur alles Unbekannte macht uns Angst. Es bedeutet natürlich auch, für sich die Dinge in Ordnung zu bringen, angefangen beispielsweise bei der Patientenverfügung. Damit und mittels diverser yogischer Praktiken haben wir die Chance, uns die Angst vor dem Tod und dem Sterben zu nehmen und sie ganz vital als unser letztes Abenteuer in dieser Inkarnation anzusehen.


Wie kann uns Yoga den konkret helfen, die Angst vor dem Tod abzulegen?

Yoga ist mit seinen Techniken überhaupt die wirkungsmächtigste Übung in den Tod. Dies vor allem, wenn wir uns mit den höheren Stufen des Yogas praktisch auseinandersetzen. Ein Beispiel: Sagen wir du sitzt in tiefer Meditation. In diesem Zustand bewegst du dich nicht, du vergisst den Körper, dein Atem ist auf ein Minimum reduziert. Je nach dem, setzt er sogar für eine Weile aus. Dein Geist kommt völlig zur Ruhe, dieser umfasst all deine Erinnerungen, Phantasien, Vorstellungen und Gefühle. Absolut alles wird sehr, ja absolut still.


Im Erfahren der absoluten Stille mittels Meditation nähern wir uns also dem Tod und dem Zustand des Nichts. Fühlen uns wohler im Nicht-Sein. Werden wir so dem Ableben gegenüber angstfrei?

Ja genau, deshalb ist es sehr wichtig, sich in den höheren Techniken des Yogas zu üben. Die unteren Stufen, beispielsweise die Asansa-Praxis bereitet uns lediglich für die höheren Stufen vor, beziehungsweise wir lernen erstmals still zu sitzen. Auch Vairagya, die Praxis des täglichen Loslassens uns sich von Anhaftungen im Aussen frei zu machen, ist zentral in unserer Praxis und unerlässlich für diejenigen, die einen unbeschwerteren Umgang mit dem Tod lernen möchten.


Wenn jemand stirbt, können wir uns nicht vor dem Schlund der Trauer wehren und der Leere, die danach folgt?

Trauer ist eine ganz grosse Energie und wir müssen lernen, sie in etwas Positives umzuwandeln. Dazu wäre das Learning, die Gefühle des Verlustes des Menschen loszulassen. Wir brauchen dafür alle Zeit und Geduld.


Wie tun wir das konkret?

Im Yoga kennen wir diverse Herzkultivierungen. Dabei üben wir uns darin, alle Gefühle, wie Wut oder Schuldgefühle gegenüber dem Verstorbenen abzulegen, auch etwa Gefühle loszulassen, von dem Menschen vielleicht nicht richtig gesehen geworden zu sein. Zudem ist es ratsam, mit der verstorbenen Person eine Weile etwas im Dialog zu bleiben, ob man mit inneren Bildern kommuniziert oder mit Geistwesen, spielt dabei keine Rolle. Eine solche Kommunikation kann sehr heilsam sein und hilft über den abrupten Bruch hinwegzukommen. Es kommen übrigens glasklare Antworten auf Fragen, und das hat nichts Spiritistisches oder Abgehobenes. Auch wenn die physische Form der Person nicht mehr hier ist, können wir mit ihr weitersprechen. Es gilt sich nur hinzusetzen und genau hinzuhören.



 

Über Johannes Glarner

Johannes Glarner, Germanist, Theaterregisseur und Yogalehrer aus Zürich zählt für mich zu den wichtigsten und authentischsten Yogastimmen in der Schweiz. Er unterrichtet seit 2009 Yoga, derzeit in drei verschiedenen Studios in Zürich. Regelmässig führt der 62-Jährige Workshops, Retreats und Yogaferien im In- und Ausland durch. Seit 2013 ist er an verschiedenen Yogaschulen für die Vermittlung von Yogapraxis, Yogageschichte- und -philosophie verantwortlich.

Sein Angebot und Stundenplan findest du hier:

www.yohannesyoga.ch

 
 
 

Weiterführende Lektüre zum Thema Tod

Als Yogini bin ich davon überzeugt, dass wir uns mit dem Thema Tod aktiv und positiv auseinandersetzen sollten. Hier habe ich euch weiterführende Informationen zusammengestellt. Eine kleine Auswahl:

 

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